Frühe Rechenhilfen

  ... (analoges: Rechenstäbe Proportionalwinkel/-zirkel, digitales: Rechenpfennige/"Rechnen auf der Linie", Napier, ...; Kugelrechner/Abakus siehe dort; die erste Addiermaschine mit Multipliezierhilfe) ...

 

Die hier vorgestellten Rechenhilfen aus meiner Sammlung entsprechen in ihrer Funktion den bis 1800 verwendeten Rechenhilfen, auch wenn einige erst nach 1900 hergestellt wurden:

a) Proportionalzirkel

b) Proportionalwinkel

c) Rechnen auf der Linie: Rechenpfennige und Rechentuch

d) Rechenstäbe nach Napier

 

Beendet wird diese Übersicht mit der weltweit ersten echten Rechen-maschine, einer 2-Spezies-Rechenmaschine (Additon+Subtraktion) mit Napier-Multiplikationshilfe, und zwar 

e) Schickards Rechenmaschine von 1623

 

Die ab dem 17. Jhdt. verbreiteten Drehrechner als Multiplikationshilfe finden sich eben dort, die bereits seit der Antike bekannten Abaci bei den Kugelrechnern.

 

Literatur: schöne Übersichten über frühe Rechenhilfen gibt es z.B. in

- "Scheffelt & Co. - Frühe logarithmische Rechenhilfen im Deutschen Sprachraum" von W.H. Rugowski, 2012

- "Versuch einer Geschichte der Rechenmaschine" von J.P. Bischoff, 1804 (Reprint 1990)

- „Theatrum arithmetico-geometricum - Schauplatz der Rechen- und Meß-Kunst“ von Jacob Leupold, 1727 (Reprint 1982)

 

a) Proportionalzirkel nach Bürgi

Mit dem Proportionalzirkel können Strecken in einem bestimmten, einstellbaren Verhältnis geteilt bzw. vervielfältigt werden. Mit den beiden Skalen des Geräts ist es möglich, Strecken in 2 bis 10 und Kreise in 3 bis 20 gleiche Teile aufzuteilen. Ebenso kann der Proportionalzirkel dazu verwendet werden, Zeichnungen maßstäblich zu vergrößern oder zu verkleinern. 

Als Erfinder gilt Jost Bürgi (etwa 1600). Der verstellbar Proportionalzirkel nach Bürgi geht zurück auf den schon im Altertum verwendeten Reduktionszirkel mit festen Schenkellängen bzw. Teilungsverhältnis (siehe unten Abb. 1: links römischer 1:2 Reduktionszirkel). 

Link: Das "Instrumentum Architecturae" von Balthasar Neumann mit Überblick über Proportionalwinkel und -zirkel;

Übersicht und Anleitung in www.rechenwerkzeug.de;

Michael Scheffelts Instrumentum proportionum, oder Unterricht vom Proportional-Zirkul, 1708

 

a) Abb. 2-5:

Proportionalzirkel "U.S." 7,5 inch 

hergestellt von n.n., wohl USA; Baujahr ?

19,25 cm lang; 74 gr.

Verhältnis 1:2 bis 1:10 sowie 3/5, 2/3, 3/4

in Box (ohne Beschriftung)

gemäß Verkäufer evtl. ehemals in der U.S.-Marine im Einsatz

b) Abb. 6-8:

Proportionalzirkel Replik 6 inch 

hergestellt von n.n., Indien

Baujahr um 2000 (Reproduktion aus Indien)

15,5 cm lang; 60 gr.; teil-vermessingt

Verhältnis 1:1 bis 1:10 

b) Proportionalwinkel nach Galileo

Proportionalzirkel (franz. Compas de proportion, engl. Sector) nach dem von Galilei beschriebenen Prinzip waren universelle Rechengeräte primär im 17. und 18. Jahrhundert; produziert/verwendet wurden sie etwa von 1600 bis Anfang 20 Jhdt. Auf den Schenkeln sind lineare und ggf. Funktionenskalen aufgetragen. Am geöffneten Proportionalwinkel können mit einem Stech-zirkel Strecken abgetragen werden, so dass auf Basis der Strahlensätze Verhältnisgleichungen gelöst werden können.

Aufgrund der geringen Abnutzung der erhaltenen Expl. wurden sie wohl kaum benutzt. Proportionalzirkel waren zwar immer in den Instrumenten-sets des 19.Jhdt. enthalten, aber man kann bezweifeln, dass mit ihnen häufig gerechnet wurde.

Link: Übersicht und Anleitung in www.rechenwerkzeug.de

a) großer Proportionalwinkel (Bilder 1-6):

hergestellt von J. Rabone & Sons, Hockley Abbey Works, Birmingham, England

Modell: Two feet, two fold Carrett's Engineers' Rule (System W.E. Carrett Engineer, Leeds, Improved Rule mit integriertem Rechenschieber)

31,7x4,3x0,35 cm; Skalenlänge 2x28 cm (ausgeklappt als Lineal 60,8 cm bzw. 24 inch / 2 feet); 107 gr.

Aus Holz (Buchsbaum) mit Messing-Gelenk und -Rechenschieber-Zunge. 

Die Fa. Rabone&Sons stellte von 1784 bis Anfang des 20. Jhdt. Messinstrumente wie Barometer, Hygrometer, Lineale, Wasserwaagen und Messschieber her.

Dieses Modell ist im Katalog von 1878 auf S. 17 als No. 2431 enthalten

(Bild 7). Link: Katalog/Preisliste 1878

b) kleiner Proportionalwinkel (Bilder 1-3 und 8+9):

hergestellt von Horne&Co., London, England

15,9x3,5x0,3 cm; Skalenlänge 2x14,8 cm, ausgeklappt als Lineal 30,3 cm bzw. 1 foot*; 25 gr.; aus Holz (Buchsbaum)

produziert um 1850

Die Fa. Horne, Thornthwaite und Wood stellte von 1841 bis 1913 Mess- und optische Instrumente (bes. Photographie und Mikroskopie) her. Fallon Horne starb bereits 1858. Die Fa. firmierte um 1850 als Horne&Co.

*zu foot: hier wohl die alte engl. Einheit foot zu ca. 30,3 cm (seit 1959: 30,48 cm); interessanterweise ist das Lineal in 100stel foot eingeteilt, nicht in 12 inch.

c) Rechenpfennige (Rechnen auf der Linie)

Rechenpfennige waren keine Münzen oder Zahlungsmittel. Sie wurden für die "Rechnung auf der Linie" benutzt, wie sie bspw. im Rechenbuch auff Linien und Ziphren in allerley Hand von Adam Risen (1574) beschrieben ist.

Link: Adam Ries – Rechnung auff der linihen von Tino Hempel

 

Vergleiche auch die Salaminische Tafel von ca. 300 v.Chr. mit ähnlicher Rechenweise. Das Rechnen mit Rechensteinen (Calculi, Tokens) war bereits in den antiken Hochkulturen verbreitet.

Lit.: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 1893 und Die Rechentafel der Alten von Alfred Nagl, 1914 (über ägyptische, griech. und römische Rechentafeln und deren Anwendung; inkl. kritischer Auseinander-setzung und Korrektur von Paulys Eintrag Abacus in der vorgenannten Encyclopädie).

Vortrag "Die Vielfalt und Schönheit der Rechenpfennige", Rudowski 2014

Rechenpfennig 16. Jhdt. Nürnberg

Bilder folgen

hergestellt vom Münzmeister Hanns Rauwinckel, Nürnberg

produziert im 16. Jahrhundert

Durchmesser: 2,5 cm

Text auf der Vorderseite: HANNS RAVWINCKEL.GOTESS; auf der Rückseite: RECHEN.PFENING.NVRENBER.

Rechentuch, bayerisch, um 1700

Bilder und Beschreibung folgen

Bayerisches Rechentuch um 1700

ca. 68 x 39 cm

Replik aus dem Museumsshop Landesmuseum Bayern

Le Kit "Calculus"

Begleitmaterial zur Wanderausstellung Homo Calculus des Greco Informatique aus Talence bei Bordeaux, 1995.

Organisation bzw. Ausstellung/Material offenbar nicht mehr existent bzw. verfügbar (Homepage nun gelöscht): vor wenigen Jahren lauteten die Preisangaben immer noch auf Franc mit Leihgebühr 15.000 Franc/Monat, Begleitmaterial 32,50 Franc/Expl. 

Das Set beinhaltet Material und Repliken aus Kartonpapier zu den drei frühen Rechenhilfen Rechenpfennige (Bilder 3+4), Napier-Rechensäbe (s.u.) sowie Genaille-Rechenstäbe (siehe hier).

Set mit 30 Rechenpfennigen und 20 Rechenstäben (eine Seite Napier, die andere Genaille), ausführliche Anleitung und Info zur Ausstellung. Beworben mit une nouvelle pédagogie (eine neue Pädagogik).  

d) Rechenstäbe nach Napier (1614)

John Napier, schottischer Mathematiker (1550-1617) erarbeitete die Grundlagen für die Logarithmen (u.a. Basis für die Rechenschieber) und stellte in seinem Buch Rabdologia 3 Rechenhilfen vor, von denen die Rechenstäbe die weiteste Verbreitung fanden und Bestandteil der ersten Rechenmaschine waren (Schickard). Mit ihnen konnte man multiplizieren, dividieren und radizieren.

Prinzip der Multiplikation: auf jedem Napier-Stab sind die Ergebnisse der Multiplikation der jeweils oben angegeben Ziffer (Multiplikator) mit 1, 2, 3 ... 9 (Multiplikant) angegeben. Für jeden Multplikant wird das Produkt getrennt nach Einerstelle (rechts unten) und Zehnerstelle (links oben) dargestellt. Bei mehrstelliger Multiplikation einfach die richtigen Stäbe mit den entsprechenden Ziffern für den Multiplikator nebeneinander legen und die Ergebnisse für die Multiplikation in der Zeile des Multiplikanten ablesen: dazu für jede Stelle die Zehnerstelle der nächstniedrigeren Stelle zur jeweiligen Einerstelle addieren (siehe Beispielrechnungen und Fotos unten).

Einfach und genial: Die Napier-Stäbe sind technisch nichts anderes als eine variabel kombinierbare 1x1-Tabelle.

Häufig wurden sie auch zylinderförmig gestaltet, so dass dann alle 10 Ziffern auf einem Zylinder und nicht nur 4 Ziffern auf einem Stab enthalten waren. Beispiele dafür sind die Schickard-Rechenmaschine (1624) und der Schott-Rechenkasten (um 1660).

Bei der Leupoldischen-Neper-Rechenmaschine (1727) sind sie als 10-eckige, nebeneinandere angeordneten Scheiben montiert.

 

Links: www.tinohempel.de/info/mathe/napier/napier.htm;

www.mechrech.info/workmod/workmod.htm

www.mechrech.info/exhibit/eNeper/eNeper1.html;
www.collectanea.eu;

Literaturliste: www.mechrech.info/library/library.html

Napiersche Rechenstäbchen (Replik 1998)

Replik, hergestellt für ConVatec-Wundversorgung als Werbemittel, 1998

Box 20x15x5,5 cm mit 16 Stäben à 11,3x0,9x0,9 cm; 500 g; mit Anleitung

Prinzip: s.o. In Foto 2 ist die Multiplikation von 242 mit 1, 2, 3 ... 9 dargestellt: 2x242=484; 4x242=968; 7X242=1694.

Rechenkasten von Schott (1668; Replik 2016)

Replik, hergestellt 2016, NL

21,5x16,8x8,9 cm; 1080 gr.

Von Caspar Schott 1668 in seinem Werk Organum Mathematicum beschrieben; dort nova cistula (kleines Kästchen) bezeichnet.

Schott kam wohl als erster auf die Idee die Napierschen-Rechenstäbe, die nur 4 Seiten für eben nur 4 Ziffern hatten und bei denen das Finden und Zusammenstellen der richtigen Ziffern für den Multiplikanden etwas aufwändig war, in Zylinder umzuformen, die jeweils alle 10 Ziffern beinhalteten. Dadurch war das Einstellen des Multiplikanden erheblich einfacher, aber das Ablesen wurde wegen der relativ großen Abstände zwischen den Zylindern etwas schwieriger.

Details/Quelle: Die Rechenkästen nach Schott und ihre Simulation, Weiss 2007

Rechenscheiben von Poetius (1728) und Prahll (um 1790)

Im 18. Jhdt. wurden dann die Napierschen-Rechenstäbe auf Rechenscheiben aufgebracht, zuerst von J.M. Poetius 1728 unter dem Namen Mensula Pythagorica, um 1790 auch von  F.X.M. Prahll als Machina arithmetica portabilis. Weitere Infos siehe bei Drehrechnern.

Le Kit "Calculus"

s.o. bei Rechenpfennige. Dort unter Le Kit "Calculus" Bilder 5+6.

Omega Rechenmaschine und Omega Calculating Machine

hergestellt von Justin Wilhelm Bamberger Co., München

Kombination aus Zahlenschieber ohne Hakenübertrag mit 9x9 Stellen (A) und Napier-Multiplikation mit 8x9 Stellen (B), Speicherwerk mit 5x10 Stellen

hergestellt ab 1905 bis vor 1910(?); Preis (1906): 18 Mark

46x14x5,5 cm (Kasten); 730 g ohne / 1,7 kg mit Kasten

Abgebildet sind das Modell Omega Rechenmaschine für den deutschsprachigen Markt (Bilder 1-13, ab Bild 9 zerlegt/offen [verkauft]) und das Exportmodell Omega Calculating Machine mit Zusatz Machine à Calculer Omega (Bilder 14-20).

 

A) Äußerst simpler Zahlenschieber zum Addieren und Subtrahieren:

Stäbe mit Ziffern zum Schieben mit punktförmigen Erhebungen, an denen der Finger angreifen kann. Rechts daneben runde Ergebnis-Schaulöcher. Ohne Zehnerübertrag, auch nicht quasi-automatisch wie beim Zahlenschieber: beim Überschreiten der 9 musste man mit dem Finger nach links zurückfahren und bei dem höherwertigen Stab 1 addieren. Vergleiche mit The Locke Adder.

 

B) Multiplikation und Division nach dem Prinzip der Napier-Rechenstäbe (s.o.). In Foto 5 ist die Multiplikation von 64 mit 1, 2 und 3 dargestellt: 2x64=128, 3x64=192.

 

Zum Vorgängermodell Bamberger Universal von 1903/04, das nur aus dem Additionsteil besteht, gibt es das DRGM 195509 mit folgendem Eintrag im Patentblatt vom 01.04.1903: "Aus einzelnen Schiebern für je einen Stellenwert zusammengesetzter Rechenapparat mit Festhaltevorrichtung für die Einstellung der Schieber und an der Oberfläche sichtbarem Resultat. Justin Wilhelm Bamberger, München, Neuhauserstr. 49 23/3 03 - B. 21 439."

Dagegen wurden die erwähnten eingereichten Patente offenbar nicht erteilt.

Link: Infos zur Fa. Bamberger

Theutometer - ägyptischer Rechenstab

hergestellt von Merkur-Verlag-Rees, Wehingen

21,2x10,7 cm (Umschlag), 19,5x2,0 cm (einzelner Rechenstab aus Pappe)

produziert um 1914 (Quelle)

Umschlag mit 20 beidseitig bedruckten Napier-Rechenstäben, d.h. jede Ziffer ist 4 mal vorhanden. Der beste, eigenartigste und handlichste Rechenstab der Welt! Gemäß Umschlag lässt sich das Produkt von 6789 mal 684975 in 10 Sekunden ausrechnen.

Wurde wohl zur Verkaufsförderung "Theutometer" und "ägyptischer Rechenstab" genannt; Napier wird nicht erwähnt.

Theutometer (Bastelset)

hergestellt von Merkur-Verlag-Rees, Wehingen

ca. DIN A5-Format

produziert um 1914 (Quelle)

Bastelbögen zur Herstellung von 15 Napier-Rechenstäben à 16x1x1 cm. Weiteres siehe vorheriger Eintrag.

Gab es auch als fertiges Set im Holzkästchen mit Schiebedeckel oder in der oben gezeigten Version.

Auto-Calcul ROULOIS

mit erweitertem Wertebereich bis 99. Siehe unter speziellen Rechenhilfen.

e) Schickards Rechenmaschine von 1623

Natürlich ein Nachbau, und zwar aus 2016 von einem Sammlerkollegen aus den NL, der für das Addierwerk einfach einen Addometer verwendet hat.

27x31x20 cm (mit Schieber 36 cm breit); 2,5 kg

Ein Original der von Wilhelm Schickard, Tübingen, 1623/24 gebauten beiden Maschinen ist nicht erhalten; Kenntnis über diese weltweit erste Rechenmaschine erhielt man aus einem Briefwechsel (mit Skizze) von Schickard mit Kepler.

 

Bei diesem Nachbau geht es nur darum, die Anwendung zu demonstrieren. Das hier aus dem Scheibenaddierer Addometer bestehende 6-stellige Additionswerk inkl. Zehnerübertrag ist technisch und optisch sicher nicht originalgetreu, die Multiplizierhilfe nach Napier (s.o.) auf Zylindern dagegen nahezu. Dazu kommt noch ein einfaches Speicherwerk vor dem Scheibenaddierer.

Weitere Infos/Links siehe www.rechnerlexikon.de/artikel/Schickard_Maschine

Lit.: "Über die erste Rechenmaschine" von Bruno von Freytag-Löringhoff in Physikalische Blätter, Band 14, 1958, S. 361–365

"Die Rekonstruktion der ersten Rechenmaschine (Schickard 1623)" in "Der Büromaschinen-Mechaniker", Heft 24, 1961

"Wilhelm Schickards Tübinger Rechenmaschine von 1623" von Bruno von Freytag-Löringhoff, bearbeitet von Friedrich Seck, 1961 / 5. erweiterte Auflage 2002

Schickard Modell (1 Stelle) + IBM-Chip

Modell einer Stelle von Eingaberad, Anzeige und Zahnrad von Schickards Rechenmaschine sowie IBM Speicherchip 294.912 Bit (36 kByte).

Verteilt an ? beim ECC vom 20.-23.10.1986.

11,3x11,3x6, cm; 910 gr.